Im Vollrausch
Wir tanzen auf glühenden Kohlen,
denken nicht daran umzufallen.
Psst. Herr Munk ist auf Jagd; das
Wild hat sich versteckt im Unterholz.
Wieder zuhause aus den Schuhen
und neuen Socken heraus fällt
ihm dann doch noch eine
Horde Wollmäuse vor die Füße.
Die Investmentgeschäfte
überschreiten ihren Zenit,
die Sonne zeitigt eruptiv
erste Anzeichen von Blähbauch.
In Deutschland tobt ein Bürgerkrieg.
Die Aktien stehen schlecht.
Die letzten Affen in Amazonien
besaufen sich am Palmwein.
In China fällt kein Sack Reis um.
Noch schmaust die Herde
auf grüner Au.
Jedoch immer mehr Zähne
säumen den Weg zur Hölle,
mit gespitzten Mäulern.
Ungespeiste Bescheidenheit.
Auf kahler Prärie lauscht
man dem nachwachsenden Gras.
Herr Munk macht sich
keine Sorgen, sammelt
seine Wollmäuse ein.
Der Planet erholt sich schon.
Herr Munk hat sich chic
gemacht für den Tanz auf
den glühenden Kohlen.
In Gedanken
war ich zurückgerudert
mit meinem Raumschiff
bis dicht an den Urknall
dort stand eine
unüberwindbare Mauer
mit einem Tor darin
und der Aufschrift
„Für Menschen unpassierbar“
dahinter würde sich eine
total andere Welt auftun
die unserem Denken und Sinnen
verschlossen sei
eine ohne Anfang und Ende
vielleicht sind wir auch schon
durchs Tor gekommen und tappen
herum ohne es zu bemerken
Entsetzt
Unfreiwillig erwischte es mich auf der Autobahn,
dieser Tag-Albtraum im Sekundenschlaf,
ein historisches Ereignis,
als säße man in einem Zug,
der bereits in Bayern eintrudelte,
während man sich gleichzeitig in Hannover befand.
Wie Waggons klebten die Autos aneinander,
der allererste Giga-Stau im Lande,
welch ein Spektakel ergab sich,
als mein Chef mich am Münchener Hauptbahnhof
erwartete, dringend, und ich ihm per Handy mitteilte,
ich wäre ganz hinten am Ende im letzten Abteil, würde
mir aber zu Fuß den Weg bahnen nach vorn.
Er war ein Kulturbursche
küsste niemals Frösche wach
leckte am Morgen nicht
den Tau von den Rosen als
Beweis seiner Liebe zur Natur
beherbergte er weder Giftschlangen
noch Skorpione in seinem Bett
lag eine Puppe aus Silikon
Den indigenen Häuptling hatte man durch Deutschland kutschiert in einem wunderbaren Auto, erzählte er, zuhause wieder angekommen, seinen Stammesangehörigen. Die fragten, ob der Häuptling berauscht gewesen sei bei der Fahrerei ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Der Häuptling sprach davon, dass die Deutschen gerne Autos produzieren, jeder sich eins leisten könne, und von der Abwrackprämie. Nur im Land der Dichter und Denker hatten sie nicht bedacht, dass so viele Fahrzeuge irgendwann die Straßen verstopfen würden. Und so redeten die Indigenen noch lange am Lagerfeuer vom „Stau“ und berauschten sich dabei amüsiert.
*
Man kann, wenn man will. Sogar im Bett. Man
muss nur wollen, wenn man kann.
*
Humor hilft nicht gegen die Krise. Humor hilft durch die Krise. Für unsere gesellschaftliche Zukunft bedeutet dies, wir werden sehr viel Humor benötigen.
(Humor ist das Instrument in uns. Wir müssen es nur bespielen, wie die Musiker beim Untergang der Titanic.)
Meine Philosophie ist, dass jeder seine Welt ist. Alle anderen kommen lediglich darin vor.
Ruhestand = vorgezogener Tod
*
Blinder Fleck
Da ist dieser verdeckte Moment
wenn mir der Ball zugespielt wird
aus der gegenwärtigen Situation
ich aufsteige in die Zukunft
da ist dieser verdeckte Moment
in der Nische zwischen den Zeiten
wo der Hütchenspieler zuschlägt
in diesem verdeckten Moment
die Kugel umlenkt und mich
ins Leere springen lässt
Karin
Der kühle Ostwind trieb bereits Ende Oktober
riesige Schneemassen in unser Tal, viel zu früh,
und schon tauten sie wieder ab.
Im Stadtwald war ein Geräusch, als
wenn tausende Wasserhähne tropften.
Vereinzelt lagen Schneeplacken herum wie
eine versprengte Schafherde. Und mit
der aufkommenden Dämmerung schlichen
graue Dunstschwaden umher.
Etwas Luftbewegung kam auf,
vertrieb den Nebel. An den Ästen der Bäume
klammerten sich noch einige Blätter,
in den Wipfeln säuselte ein leichter Wind,
und für einen Moment war mir, als hörte
ich eine weibliche Stimme meinen Namen rufen:
„Enno, Enno – gogo!“ Wanderer hatten immer wieder
von einer umhergeisternden Karin berichtet.
Hinter einem verwaisten Hausbrunnen schlenderte
ich über eine Wiese, die abschüssig an einem
Bachlauf endete. Inzwischen verzauberte der Halbmond
mit seinem gedimmten Licht die Landschaft.
Bauchhoch versank die Flur in silbernen
Nebelschleiern. Wie durch ein Getreidefeld watete
ich darin herum, blickte staunend über die
dunstende Fläche weit hinauf in einen
gigantischen Sternenhimmel, tauchte ein in die
Unbegreiflichkeit dieses endlosen Raumes.
In der Feuchtwiese am Waldrand war es still.
Zarte Nebelgespinste krochen den Boden entlang,
und etwas später hinter einer Anhöhe tauchten in
der Ferne verschwommen die Lichter von
einem Bauernhof auf. Ruhig und verschlafen lag er da,
wohlig an den Süllberg hingeschmiegt.
Auf der Bank dort saß Karin, eine engelsgleiche Gestalt.
Nach einer Weile stakste sie davon,
zog das rechte Bein etwas nach. Über einen
verwilderten Pfad quälte sie sich hinauf ins Gebirge.
Mein Atem ging schwer und Greif, mein Hund,
ein Kromfohrländer, stellte urplötzlich einem Hasen
nach, hetzte einen Moment hinter ihm her, vorbei
an einer jämmerlichen Esche, ließ aber genauso
schnell wieder ab von seiner Jagd.
Aus Greifs hechelnder Schnauze stoben wie aus
einer Dampfpfeife winzige Wolken hervor. Durchs
dichte Unterholz von der Anhöhe her brannten
sich Karins Augen wie zwei glühende Kohlen in
die Nacht, und über uns plötzlich die klagenden
Schreie verspäteter Wildgänse, die rasch am
Halbmond vorbeiflogen, unwirklich,
aneinandergebundene Papierdrachen, die
magisch davongezogen wurden.
Wie Geisterfiguren nun die dumpfen Silhouetten
der Zaunpfähle, die verschleierten Weidenstümpfe
und bizarren Baumskelette am Bach.
Begann es jetzt zu spuken? Ein verdorrter Ast
erschien mir plötzlich wie der drohende Arm eines Elfen.
Unheimliche Stille. Durch meinen Körper schauderte
der Ruf eines Kauzes aus einem nahen Buchenhain.
Das lichte Wäldchen hatte sich nun in eine
schwarze Festung verwandelt. Und ins Gestrüpp davor
sah ich gerade noch einen Fuchs davon schnüren.
Greif drängte nach Hause. Unser einsames Gehöft am
Rande des Tales erschien vom weitem wie
ein riesiger Scherenschnitt. Eine Schleiereule schwebte
dicht über uns hinweg, wir schreckten auf, denn ihr leichter
Luftzug und ihr Schatten überraschten uns wie ein
Schlag aus dem Nichts; sie glitt weiter um den Giebel
des Hauses und es hörte sich an, als würde sie
meinen Namen rufen: „Enno, Enno – gogo!“
Fröstelnd öffnete ich die Eichentür zu meiner Diele;
eine heimelige Wärme strömte uns entgegen.
Am Kamin saß Karin, der schmale Körper verschluckt
von einem zu groß geratenen, alten Mantel, aus dem
dies bleiche zierliche Gesicht hervorlugte, von
seidigen blonden Haaren umfangen.
Ich verspürte einen unfehlbaren Instinkt in mir,
und wusste sofort, es wäre sinnlos sich zu wehren.
Mit einem Kartoffelschäler trennte sie mir ein Auge raus,
zerhackte blind vor Wut meine Beine, sowie man es vor Jahren
mit ihrer Tochter getan hatte, nachdem sie vergewaltigt
worden war. Man konnte nie den Täter ermitteln.
Karin hatte damals mit ihrem Leben Schluss gemacht.
Von Draußen der Ruf eines Kauzes und
hier in der Stube Greifs Winseln. Nun beende ich
meine Aufzeichnung, lege den Stift beiseite und
mich zum Sterben, wie alle Wanderer, die Karin
früher oder später begegnen und von ihr hingemetzelt
würden oder doch nur Opfer einer grundlosen Angst sind,
wie das Rotkäppchen, das in Wirklichkeit nicht vom
Wolf (die mögen keine Menschen) verschlungen worden
war, sondern von ihrer Furcht vor jenem.